Wer rettet den Rettungsdienst?
Wieso ein Buch über Qualität im Rettungsdienst?
Weil es um Menschenleben geht.
Das Buch greift Aspekte der Qualitätssicherung und Qualitätssteigerung im präklinischen Bereich auf und geht der Frage nach, welche Ansprüche an ein modernes, patientenorientiertes Rettungswesen des 21. Jahrhunderts in Österreich bestehen.
Es ist nicht das vordergründige Ziel darzustellen, was richtig oder falsch ist. Vielmehr geht es um den Austausch über Themen, die für den Rettungsdienst relevant und wichtig sind – ganz im Sinne der Weiterentwicklung einer hochwertigen präklinischen Versorgung.
Erschienen im MAIWE-Verlag
ISBN-Nummer: 978-3-9503120-3-4
24,90 Euro inkl. MWSt.
Inhalt
Die Geschichte von der Lehrerin,die sich für Bildung interessierte … 5 Das Problem mit der Qualität … 11 Warum wir meistens falsch lernen und trainieren … 19 Warum wir aus Übungen nichts lernen (wollen) … 29 Warum man Rettungsdienst und Krankentransporte klar trennen sollte … 39 Warum es so schwierig ist zu definieren, was ein guter Sanitäter ist … 51 Warum acht Stunden Fortbildung nicht ausreichen … 59 Wer passt eigentlich in den Rettungsdienst? … 73 Wie sicher ist der Rettungsdienst? … 89 Weniger beschweren, mehr einfordern … 105 Bewegst Du schon oder jammerst Du noch? … 119
Leseprobe
aus dem Kapitel: Warum es so schwierig ist zu definieren, was ein guter Sanitäter ist
Was ist ein guter Sanitäter? Was macht ihn aus? Ein Berufsethos hat mit gelebter Wertevermittlung zu tun. Die kann man nicht verordnen, sie muss früh vermittelt, vorgelebt und eingefordert werden.
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Was macht einen Sanitäter „gut“?
Die Pflichten des Sanitäters sind relativ klar und auch gesetzlich definiert: Sie müssen ihre Tätigkeit ohne Ansehen des Patienten gewissenhaft ausüben, das Wohl der betreuten Person nach Maßgabe der fachlichen und wissenschaftlichen Erkenntnisse und Erfahrungen wahren, nätigenfalls einen Notarzt hinzuziehen, sie müssen dokumentieren, sie verpflichten sich zur Verschwiegenheit unter Berücksichtigung der Auskunftspflicht (vgl. §4-7 SanG).
Vor dem Gesetz ist ein guter Sanitäter, wer all diese Pflichten erfüllt. Im Alltag ist das, wie wir wissen, nicht ganz so einfach. Da geht es um Ausbildungsstandards, Praxiserfahrung, um den Umgang mit Menschen; und oft noch viel profaner: es spielen auch Tagesverfassung und die Befriedigung von Grundbedürfnissen eine nicht unwesentliche Rolle, wie „gut“ jemand ist.
Worum es hier jedoch gehen soll, ist eine völlig andere Ebene der Debatte, nämlich die, die all dies grundlegend beeinflusst und steuert: Die innere Einstellung und Haltung des Einzelnen in Bezug auf die Ausübung seiner Tätigkeit als Sanitäter und den Umgang mit den Pflichten, dem Vertrauen und der daraus erwachsenden Verantwortung.
Was ist meine innere Haltung als Sanitäter? Wie gehe ich mit Pflichten, Vertrauen und Verantwortung um?
Wie kommt man zu einem Berufsethos?
Ein Berufsethos hat mit gelebter Wertevermittlung zu tun. Diese kann man nicht anordnen, sie muss vorgelebt und eingefordert werden. Und das setzt bereits in der Ausbildung an.
Werte kann man nicht anordnen. Sie werden vorgelebt, entspringen der vorherrschenden Kultur und werden stets weiterverhandelt.
Warum das in der Grundausbildung meist zu kurz kommt, liegt auf der Hand: Berufsethos lässt sich nicht über das Herunterlesen einer PowerPoint-Folie vermitteln. Es bedarf einer Diskussion über Haltung und Wertvorstellung, die jeden Einzelnen genau in dem anspricht, was ihn persönlich ausmacht. Das
ist schwierig, aufwändig und nicht klar abgrenzbar, und es erfordert die Bereitschaft, sich auf einer individueller Ebene zu begegnen.
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Konkrete Ansätze einer Diskussion
Reden wir über Professionalität. Ein Professionalitätsanspruch sollte in einem Berufsethos nicht fehlen: ein hoher Anspruch, fachkundig und fachmännisch zu arbeiten. Und weil es in der Präklinik um Menschenleben geht, muss der Anspruch einer „Null-Fehler-Kultur“ selbstverständlich sein. Leider ist das in der Medizin immer noch weit weniger verbreitet, als beispielsweise in der Fliegerei.
Es entspricht dem Berufsethos eines Sanitäters, nach dem Ideal einer 100% Erfolgsquote zu streben, in dem vollen Bewusstsein, dass diese Ziel vielleicht nicht immer erreichbar ist. Das Streben danach zählt: Wenn man sich zu einer Immobilisierung entscheidet, gibt es keinen sitzenden Patienten mit Stiffneck. Wenn eine Reanimation durchgeführt wird, kann es nur eine qualitativ hochwertige sein. Wo muss das vermittelt werden? In der Grundausbildung, wo trainiert wird, bis es jeder kann und nicht, bis es alle einmal gesehen haben. Das verlangt das Berufsethos.
Gerade wenn es um Menschenleben geht, hat jeder, der unterhalb der 100% Marke in der Fehlerkultur ansetzt, schon ein Leben aufs Spiel gesetzt.
Reden wir über Verantwortung. Im Alltag des Rettungsdienstes sind Menschenleben in unserer Verantwortung. Wir kommen in Situationen, wo die
Eigenverantwortung des Patienten aufgrund seiner Erkrankung oder Verletzung teilweise sogar auf null reduziert ist. Ein solcher Patient ist in vollem Maße abhängig von unserem Handeln, unseren Entscheidungen. Daraus entsteht unser Auftrag.
Wir unterschätzen die Verantwortung unseres Wirkens, weil wir nicht über die Konsequenzen nachdenken oder die Konsequenzen oft nicht mehr erleben.
Wenn ein Patient aufgrund eines Alkoholmissbrauchs zum wiederholten Mal reglos aufgefunden wird, liegt es in unserer Verantwortung, seine Werte zu prüfen und ihm eine weitere medizinische Versorgung zukommen zu lassen. Wenn eine Umlagerung eines Patienten mit Oberschenkelhalsbruch aufgrund der Umstände nur unter Herbeiführung großer Schmerzen erfolgen kann, ist es in unserer Verantwortung, eine Schmerztherapie zu veranlassen. Das entspricht dem Berufsethos.
Wo wird einem dieses Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit anderen Menschen, die einem anvertraut werden, vermittelt? Wie können wir sicherstellen, dass damit nicht leichtfertig umgegangen wird? Wie kann man in den Köpfen der Sanitäter verankern, dass genau in diesen Situationen das Wohlergehen des Patienten unser höchstes Ziel sein muss? Dass das oberste Prinzip hier nicht von wirtschaftlichen oder persönlichen Interessen („war bequemer“, „war billiger“) bestimmt sein darf?
Reden wir über Humanität. Die Tätigkeit eines Sanitäters beruht auf dem Leid anderer Menschen. Wer im Dienst sehnsüchtig darauf wartet, dass etwas Schlimmes passiert, damit man endlich zum Einsatz kommt und gefordert wird, begibt sich moralisch auf sehr dünnes Eis. Aber auch diese Diskussionen müssen geführt werden.
Wie baut man ein Berufsethos auf, basierend auf dem Leid anderer Menschen?